Nachts wenn alles schläft oder wie kommt die Zeitung auf den Frühstückstisch
Kelkheim, 12.02.2017
Lieber geneigter Leser,
ist es nicht schön, wenn Sie morgens aufwachen und sich auf das Frühstück freuen können? Vorher schauen Sie noch mal schnell bei Ihrem Briefkasten vorbei, nehmen Ihre Tageszeitung und erfahren Wichtiges und Unwichtiges aus der Welt und von nebenan.
Vielleicht haben Sie noch die Zeit, das Frühstück mit einer richtigen Zeitung zu genießen oder aber sie nehmen sie mit zu Ihrem Arbeitsplatz bzw. lesen sie unterwegs in der Bahn. Es soll ja tatsächlich noch Menschen unter uns geben, die eine Zeitung statt ihres Smartphone oder Handy als Informationsquelle nutzen.
Aber haben Sie sich schon mal gefragt, was alles in den Stunden vorher geschieht, bevor Sie ihre geliebte (hoffentlich) Tageszeitung in den Händen halten können?
Dann unternehme ich jetzt den Versuch, aus der Sicht eines Zeitungszustellers Ihnen dies näher zu erläutern. Am Beispiel aus dem Rhein-Main-Gebiet, wo der Autor und im Nebenjob als Zeitungszusteller tätig ist, soll dies beschrieben werden.
Es beginnt damit, dass viele fleißige Redakteurinnen und Redakteure aus den verschiedenen Ressorts, sei es Politik, Sport, Feuilleton, Regionales usw. die Artikel und die Fotos zusammenstellen, die die Leser interessieren könnten und hoffentlich auch werden.
Wenn alles normal verläuft, d. h. wenn es kein wichtiges Fußballspiel gibt, das länger dauert oder es keine weltbewegenden Ereignisse, ist Redaktionsschluss gegen 23 Uhr. Dann werden im Druckzentrum in Mörfelden-Walldorf riesige tonnenschwere Papierrollen in Bewegung gesetzt. Auf diesen werden dann in sehr großer Geschwindigkeit die Tageszeitungen, wie FAZ, Frankfurter Neue Presse mit ihren Regionalausgaben, die Frankfurter Rundschau, und überregionale Zeitungen wie die WELT, die Süddeutsche Zeitung oder das Handelsblatt gedruckt.
Während dieser Zeit warten bereits viele Lieferwagen, meist „Sprinter“ mit ihren Fahrern, um die zusammengestellten Zeitungen für die jeweiligen Orte an die Zeitungszusteller auszuliefern. Je früher sie losfahren können, desto besser. Jeder Fahrer liefert an den verschiedenen Abladestationen die Zeitungspakete für die jeweiligen Zusteller aus. Die Abladestationen können Tankstellen oder größere Plätze, am besten überdacht, sein. Die Zeitung soll ja trocken und nicht nass auf den Frühstückstisch kommen.
Eine Anlieferung zum Sortieren bereit
Ein Zeitungswagen – unterwegs bei jeder Wetterlage
Und dann sind wir gefragt – die Zeitungszustellerinnen und Zusteller. Entweder mit dem eigenen Auto oder einem Zeitungswagen werden die Zeitungen sortiert nach den Bezirken und/oder dem jeweiligen Ablauf des Zustellers. Laut Maßgabe soll dann bis 6 Uhr morgens alles erledigt und die Zeitung beim Abonnenten sein. Das kann aber manchmal, wenn sich zum Beispiel der Redaktionsschluss verschiebt, es einen technischen Defekt gibt oder noch schlimmer die Wetterverhältnisse wie Schnee oder Sturm hereinbrechen, verzögern. Die Fahrer können die Zeit nicht aufholen, in dem sie schneller fahren oder wir Zusteller schneller laufen bzw. ebenfalls schneller fahren. Denn alles ist genau abgestimmt.
Erschwerend kommt hinzu, dass bei uns im Rhein-Main-Gebiet mittwochs und freitags außerdem diverse Zeitschriften mit ausgeliefert werden müssen. Manchmal ist man das ein mobiler Zeitschriftenladen unterwegs. Wie viele unterschiedliche Fernseh- und Fachzeitschriften es doch gibt, wird dann erst einem so richtig bewusst..
Einige amüsante und weniger amüsante Geschichten erlebt man dann immer wieder. Die Kolleginnen und Kollegen können sicherlich auch so einiges berichten.
Hier ein paar Beispiele:
Tierische Momente
Bei meiner Tour treffe ich immer wieder auf Katzen, die unbedingt bei Herrchen/Frauchen wieder hereingelassen werden wollen. Nur sind wir Zusteller leider dafür nicht zuständig. So etwas gefällt der Katze gar nicht und beim nächsten Zusammentreffen verschwindet Katze beleidigt von dannen.
Hunde können manchmal ganz nett sein, aber oft leider nicht. Da treffe ich morgens um 4 Uhr einen freundlichen Hund, der mich schwanzwedelnd im Schnee begrüßt und nicht von der Seite weicht. Das ist lieb von dem Hund gemeint, aber aus Zeitgründen kann ich mich nicht näher mit ihm beschäftigen.
Es gibt aber auch die aggressiven Hunde. Das sind die, die nicht angeleint sind und meinen dem Zusteller mal die Zähne zeigen zu müssen. Das Herrchen und Frauchen versucht dann mit der Begründung zu beruhigen, der Hund tue doch nichts. Diese Tut-doch-nichts-Hunde sind aber eine ernsthafte Bedrohung und die Gefahr des Zubeißens ist doch etwas groß.
Vögel sind angenehme Zeitgenossen, vor allem im Frühling. Wenn der Frühling kommt, gibt es in meinem Bezirk eine Stelle, wo ich von einem Vogel immer wieder mit einem Lied begrüßt werde, sobald ich erscheine. Andere fühlen sich in ihrer Ruhe gestört und dann wird so richtig gemeckert.
Haustüren
Gelegentlich kommt es vor, dass ich bei der Zustellung offene Haustüren antreffe. In diesem Fall rufe ich dann per Handy sicherheitshalber die Polizei an – man weiß ja nie. Von einem Abonnenten bekam ich einmal die Erklärung, dass man am Abend vorher nach einem Einkauf vergessen habe, die Haustüre zu schließen. Wie gut, dass das kein Ganove gemerkt hat.
Von Hausnummern, Briefkästen und Zeitungsrohren
Wir Zeitungszusteller sind im Dunkeln unterwegs. Trotz Ausrüstung mit Taschenlampe und anderen Gerätschaften haben wir immer wieder, vor allem bei Neuzugängen, Schwierigkeiten die Hausnummer zu erkennen. An den Briefkästen fehlen gelegentlich die Namen. Da macht das Detektivspielen keinen Spaß. Wenn dann die Hausnummer falsch angegeben ist – zum Beispiel entsteht an der angegebenen Adresse gerade ein Rohbau – ist das sehr ärgerlich und kostet Zeit.
Die Zeitungszusteller würden sich sehr freuen, wenn die Hausnummer gut erkennbar und vor allem beleuchtet ist. Es erleichtert die Arbeit ungemein. Denken Sie daran: In einem Notfalle kann dies lebensrettend sein!
Zeitungsrohre sind oft schick und modern. Sie sollen gut aussehen. Viele vergessen dabei aber, dass sich bei Feuchtigkeit in den Rohren Nässe bildet. Wenn Sie dann eine nasse Zeitung auf den Frühstückstisch bekommen, wundern Sie sich also nicht. Der Zeitungszusteller ist nicht schuld!
Werbebeilagen
Ich liebe Möbelhäuser. Vor allem in der Vorweihnachtszeit aber auch danach ist es uns Zustellern eine große Freude die in der Masse zentnerschweren Beilagen mit zu verteilen. Leider bekommen wir keine Gewichts- oder Erschwerniszulage für diesen Service. Einige Abonnenten baten mich, doch vorher die Werbebeilagen zu entfernen. Aber das ist nicht zulässig. Und die Bitte an den Briefkästen „Keine Werbung“ müssen wir Zusteller ignorieren.
Mit diesen Geschichten habe ich Ihnen hoffentlich einen kleinen Einblick in die Welt des Dunkels der Zeitungszusteller gewährt
.
Vielleicht bringen Sie dann auch mehr Verständnis dafür auf, was alles in der Nacht geleistet wird, damit Sie, lieber Abonnent, Ihre Zeitung pünktlich auf den Frühstückstisch bekommen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre Ihrer Tageszeitung
Ihr
Gerd Taron