Die Kunst, von der Kunst zu leben – Literarischer Wochenendgruß vom 02.11.18

Liebe Literaturfreunde,

in meinem Freundes- und Bekanntenkreis gibt es viele Künstler, sei es im Bereich der Literatur, der Musik, der Malerei oder Schauspiel.

Immer wieder wird die Frage gestellt, ob Mann/Frau davon leben könne. Ist das alles brotlose Kunst?

In der heutigen Zeit ist es schwierig geworden, diese Frage mit „Ja“ zu beantworten. Für private oder auch andere Feiern werden kostengünstige Künstler engagiert, manchmal sogar nur für ein Essen mit Getränke. Gage oder Honorar? Es wird darauf verwiesen, dass man doch eine gute Gelegenheit bekomme sich zu präsentieren und sich daraus sicher neue Auftrittsmöglichkeiten ergeben.

Was ist eine künstlerische Leistung im Zeitalter des Profitstrebens wert?

Die nachfolgenden Texte, insbesondere die Geschichte von Walburga Kliem, mögen zum Nachdenken anregen.

Die Fotos und die Bilder wurden mir aus meinem engeren Freundeskreis zur Verfügung gestellt. Bei den Bildern habe ich die Künstler namentlich erwähnt. Bei den Fotos habe ich darauf verzichtet, da sie beispielhaft für die verschiedenen Künste stehen.

Lampada di Aladino – Bild: Andreina Bonanni

Ich glaube, alle Kunst entsteht, weil sich der Künstler der Welt unsicher ist. Diese Welt passt nicht zu ihm, und er passt nicht in sie, er glaubt, er gehöre nicht dazu. Und deshalb versucht er, sie zu verstehen und für sich zu ordnen. Hemingway schrieb an Scott Fitzgerald: »Wir sind alle von Anfang an verflucht, und Du musst erst furchtbar verletzt werden, bevor Du ernsthaft schreiben kannst. Wer in sich ruht, schreibt kein Buch und malt kein Bild.

Ferdinand von Schirach

Menschenkunst

Erscheint dir Kunst zu ernst,
mit starren Regeln vollgestopft,
die Farben falsch, viel zu grell,
das Licht zu hell,

dann schöpfe aus der eigenen
Kraft, nimm den Mund recht voll,
schreibe, wie dir der Schnabel
gewachsen ist und zeichne und
pinsle, was das Zeug hält

Wenn dir Kritik entgegenbellt,
lass dich nicht beirren, bleib
bei den eigenen Dingen

Sie stecken voll Hitze, voll
samtener Blitze, erschrecken
dich selbst, weil du Verborgenes
erkennst, das machtvoll aus
deinem Inneren drängt

Du bist deine eigene
MenschenKunstTherapie
und keines der Werke
verlässt dich je

Bruni Kantz

Eine wahre Geschichte …

Auf meiner „Geschichtenwanderung 2010“ in der Nähe von Mühlhausen saß ein Geschäftsreisender frühmorgens in der Pension an meinem Tisch. Wir unterhielten uns und er war erstaunt, dass ich erstens den Beruf einer Geschichtenerzählerin habe und dann auch noch wie in alter Zeit auf die Wanderschaft gehe. „Aber Sie müssen doch von irgendetwas leben!“ platzte er heraus.

Ich antwortete: „Irgendwann will ich mal davon leben …“ und dann erläuterte ich noch, dass ich ja einen „zweiten Beruf als Trainerin und Beraterin“ habe und Seminare gebe.

Später habe ich festgestellt, ich war wieder einmal in eine „Denk- und Rechtfertigungsfalle“ geraten. Mir wurde im Nachdenken über diese Situation … und wenn man einfach nur alleine wandert auf einsamen Wegen, dann hat man viel Zeit, nachzudenken … klar:

* Ich habe gar keine zwei Berufe … es gibt für mich nur noch einen einzigen, den der „Erzählkünstlerin“. Das ist das, was ich wirklich machen will und auch tue. Diese Tätigkeit findet sich ganz einfach in der anderen wieder … in meinen Workshops und Coachings tue ich nichts anderes.

* Ich LEBE doch schon davon … Ich habe zwar kein dickes Konto, aber es hat bisher immer gereicht, um alle Ausgaben zu decken … ich lebe nicht in Armut … ich kann stolz auf meine Kinder sehen, bei denen zwar auch nicht alles einfach gelaufen ist … ich kann mich angemessen kleiden und ernähren … ich fühle mich wohl.

Und bestätigt wurde mir das dann einige Kilometer weiter von einer alten Frau, die mich in einem Dorf einfach ansprach. Wir unterhielten uns einige Zeit angeregt im leichten Nieselregen und am Ende sagte sie:

„Wissen Sie, mir ging es heute morgen eigentlich gar nicht gut. Ich fühlte mich krank und elend. Aber ich musste ja mit dem Hund raus. Und ich bin sehr froh, dass ich Sie angesprochen habe. Ich bin froh, dass wir uns so unterhalten haben …“ und dann strahlte sie und fügte hinzu: „Sie haben mich richtig glücklich gemacht!“

Für dieses Lächeln gibt es keinen Betrag auf meinem Konto! (*)

Walburga Kliem

inner landscape – Bild: Lissy Theissen

Jeder Mensch ist ein Künstler

Lass dich fallen.
Lerne Schnecken zu beobachten.
Pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemand Gefährlichen zum Tee ein.
Mache kleine Zeichen, die »ja« sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.
Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen.
Schaukel so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.
Pflege verschiedene Stimmungen.
Verweigere »verantwortlich« zu sein. Tu es aus Liebe.
Mach viele Nickerchen.
Gib Geld weiter. Tu es jetzt. Das Geld wird folgen.
Glaube an Zauberei.
Lache viel.
Bade im Mondlicht.
Träume wilde, phantasievolle Träume.
Zeichne auf Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern.
Höre alten Leuten zu.
Öffne dich, tauche ein, sei frei.
Segne dich selbst. Lass die Angst fallen. Spiele mit allem. Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig. Baue eine Burg aus Decken. Werde nass. Umarme Bäume. Schreibe Liebesbriefe.

Joseph Beuys

Wenn Sie beim nächsten Mal einen Künstler bei seinen Auftritten erleben und von ihm oder ihr begeistert sind, honorieren Sie das nicht nur mit Ihrer Eintrittskarte.

Ein kunstvolles Wochenende wünscht Ihnen

Ihr/Euer

Gerd Taron

Zwei Informationen in eigener Sache:

Vom Abschluss der literarischen Freiluftsaison ist in der Taunus-Zeitung ein sehr lesenswerter Artikel erschienen:

http://www.taunus-zeitung.de/lokales/hochtaunus/vordertaunus/Hier-wird-die-Bruecke-zur-Lyrik-geschlagen;art48711,3146542?fbclid=IwAR2oSoqT995z91ISq50MZEpjQ9mYd0X18VyKJOKN7X6yft33IkzpZ9paDs8

Einen ersten Ausblick auf die literarische Freiluftsaison 2019 gibt es hier:

Literarischer Rettershof 2019 – Ein Ausblick

Ein Kommentar zu “Die Kunst, von der Kunst zu leben – Literarischer Wochenendgruß vom 02.11.18

  1. Gerd Taron sagt:

    Immer noch aktuell

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..