Literarische Erntezeit – Literarischer Erntedank-Spaziergang rund um den Rettershof

Foto: Andreina Bonanni

Kelkheim-Fischbach, 14.10.2018

Ein traumhaftes Spätsommerwetter beim diesjährigen Erntedank- und Handwerkerfest am Rettershof bescherte vielen Besuchern einen wunderschönen Tag.

Foto: Marina Rupprecht

Es waren ideale Voraussetzungen für meinen letzten literarischen Spaziergang rund um den Rettershof in diesem Jahr. Mit Unterstützung von Andreina Bonanni, die diesmal fotografisch den Spaziergang begleitete, lauschten zahlreiche Literaturinteressierte den Geschichten und Gedichten.

Foto: Andreina Bonanni

An verschiedenen Stationen konnten die Teilnehmer auch die wunderschöne Landschaft genießen.

Foto: Gerd Taron

Bunt sind schon die Wälder,
gelb die Stoppelfelder,
und der Herbst beginnt.
Rote Blätter fallen,
graue Nebel wallen,
kühler weht der Wind.

Wie die volle Traube
aus dem Rebenlaube
purpurfarbig strahlt!
Am Geländer reifen
Pfirsiche, mit Streifen
rot und weiß bemalt.

Flinke Träger springen,
und die Mädchen singen,
alles jubelt froh!
Bunte Bänder schweben
zwischen hohen Reben
auf dem Hut von Stroh.

Geige tönt und Flöte
bei der Abendröte
und im Mondesglanz;
junge Winzerinnen
winken und beginnen
frohen Erntetanz.

-Johann Gaudenz Salis-Seewis (1782)

An der Wegekreuzung Fischbach/Ruppertshain/Schneidhain/Rettershof – Foto: Andreina Bonanni

Stilles Reifen
Alles fügt sich und erfüllt sich,
mußt es nur erwarten können
und dem Werden deines Glückes
Jahr und Felder reichlich gönnen.
Bis du eines Tages jenen reifen Duft der Körner spürest
und dich aufmachst und die Ernte in die tiefen Speicher führest.
Christian Morgenstern

Skulpturen am Rettershof -Foto: Gerd Taron

Ernte
Es ist Ernte,
dass wir einander noch haben.
Es ist Ernte,
die Münzen der Minuten und Stunden
noch ausgeben zu können.
Es ist Ernte
durch unsere gegenseitige Gegenwart
die Zeit zu schmecken wie Schwarzbrot.
Wir haben Samen ausgestreut,
manchmal ängstlich und mit zitternder Hand
und dann wieder so,
als gehörte uns schon die goldene Ernte.
Wir haben nicht gewusst,
ob die Saat aufgehen würde,
oder was wir ernten würden,
aber wir haben nicht aufgegeben.
Ich suche jetzt deine Augen häufiger,
als wolle ich mich vergewissern,
dass auch du die Dichte der Ernte erlebst.
Unser Glück tritt aus dem Sinn hervor,
den wir allem geben.

Ulrich Schaffer

Ein Hund einer Teilnehmerin fühlte sich offensichtlich auch sehr wohl – Foto: Gerd Taron

Mit dem berühmten Gedicht von Theodor Fontane endete ein kurzweiliger Spaziergang.

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ’ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. ’s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn‘ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung‘ übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: »Wiste ’ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew‘ di ’ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Die literarische Freiluftsaison nähert sich dem Ende. Am kommenden Sonntag, 21.10.2018 findet der Abschluss beim literarischen Spaziergang im Woogtal in Königstein statt. Treffpunkt ist um 15 Uhr an der Kur- und Stadtinformation in Königstein.

Mit literarischen Grüßen

Gerd Taron

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..